Opulenter Appell zum Träumen

„Tilda – die PopOper“ läuft dieser Tage in der Oetkerhalle – und begeistert ihr Publikum mit Geist und feinen Bühnenbildern

Bielefeld. Der viel beschworene „Ernst des Lebens“ – so soll der Titel eines Aufsatzes lauten, zu dem Lehrer Steinbeiß Tilda und ihre sechs Mitschüler verdonnert. Eine Strafarbeit, auferlegt an einem Samstagmorgen, weil die Schüler den Unterricht geschwänzt hatten. Das Fernbleiben hatte seinen Grund, zogen es die jungen Menschen doch vor, eher Fußball zu spielen, sich mit der Liebsten zu treffen, an ihren Grafitti- Künsten zu feilen oder – wie Tilda – ihrem Traum vom Tanzen nachzugehen.

Stattdessen nun also dieser Besinnungsaufsatz, doch dann steht auf einmal die syrische Reinigungskraft Said im Klassenzimmer. Einer, der eigentlich Wasserkraftingenieur ist und einst davon träumte, „das ganze Euphrat-Tal“ fruchtbar zu machen. Heute muss er damit klarkommen, „mit einem Wischeimer zu arbeiten“. Kein Wunder, dass so jemand geeignet ist, den jungen Leuten das „Land der Wirklichkeit“ zu zeigen. So begeben sich die Schüler auf einen Trip in die Welt der Desillusionierten, in der Zeitknappheit und Geld regieren, Menschen mechanisch ihrer Arbeit nachgehen, in der „Traumdealer“ die Träume fleddern. Es ist zugleich eine fantastische Reise, auf die die Musik- und Kunstschule (MuKu) Bielefeld am Donnerstagabend rund 1.100 Gäste mitgenommen hat, die sich in der ausverkauften Oetkerhalle die Premiere von „Tilda – die Pop Oper“ nicht entgehen ließen.

Immer wieder gab es Zwischenapplaus, am Ende lange anhaltende stehende Ovationen.„ Tilda“ ist nach „Ticket in die Vergangenheit“ und „Tanz um den Hexenkessel“ die dritte große Musiktheater-Produktion der MuKu. Gut drei Jahre Arbeit stecken in der Inszenierung, an der allein auf und vor der Bühne über 200 Akteure mitwirken. Sie machen „Tilda“ zu einem opulenten und zugleich kurzweilig- intelligentem Spektakel. Insgesamt fünf Mal kommt „Tilda – die PopOper“ dieser Tage zur Aufführung, das letzte Mal heute Abend. Das Publikum zeigt sich durchweg begeistert.

Das liegt zum einen an der Geschichte, die aus der Feder von Hellmuth Opitz stammt und leicht und intelligent erzählt ist. Zum anderen sorgt die Vertonung von Johannes Strzyzewski dafür, dass das Geschehen auf der Bühne von dem Orchester und seinen immerhin 60 Musikern passend untermalt und vorangetrieben wird: Mal mit eingängigen Rhythmen und Melodien wie etwa in dem Stück „Die Kleine Tilda“, mal mit dem ganzen Pomp und der Grandezza eines mit einer Rockband bereicherten Sinfonieorchesters. Vor allem aber sind es die überwiegend jugendlichen Darsteller, die brillieren, sei es als Tänzer, sei es als Schauspieler. Fantasievoll choreographierte Balletteinlagen treten in einen Wechsel mit Soloeinlagen und Theaterszenen, in denen sich die Jugendlichen mal kritisch, mal ironisch mit sich selbst und der Welt beschäftigen.

„Es gibt Szenen, die haben mich in den Sessel gedrückt“, sagte Zuschauer Sebastian Biermann, der für „Tilda“ aus Herford angereist war. Dazu dürfte auch das ausgeklügelte Bühnenbild beigetragen haben. Dessen zentrales Element war ein monumentaler Gaze-Vorhang, hinter dem die ganze Zeit die Chorsänger ihren Platz hatten. Das Tuch hatte nicht nur den Effekt, dass die Sängerinnen und Sänger ein wenig entrückt wie hinter einer Nebelwand erschienen, was dem Thema „Traum“ visuell sehr nahe kam. Der Vorhang diente zudem als Projektionsfläche für die passenden Hintergrundbilder bis hin zu filmischen Einspielungen, was diese erstklassige Aufführung bisweilen zu einem multimedialen Ereignis machte.

Von Tarek Chafik